Rusa, tuerkische Familie, Kellerpritsche, Rusa

Lentheki, Orbeli, Chiatura, Sachkhere, Gori, Kaspi, Ksani, Mtskhete, Tbilisi (Tiflis)

3.9. 10:31 Uhr Tiflis
Wie immer ist es unmoeglich von allem zu berichten.
Nach Lentheki komme ich durch wundervolle Landschaften in etwa 1000 Meter Hoehe. Friedlich, paradiesisch, entspannt, heiss (es ist ein paar Tage lang immer ueber 40 Grad)
Ein riesenRegen kommt in Orbeli des Morgens herunter, der Garten steht 20 cm unter Wasser, die Fluesse haben ihre Farbe nach „Kakao“ gewechselt. Ein paar Jugendliche zeigen mir uebertags ein tolles Wasserloch mit Wasserfall, klares Wasser, in einer engen Schlucht.
Es folgen entspannte Tage.
Ich komme in ein Bergbaustaedtchen, Chiatura. Ueberall Seilbahnen, uralt, aber in Betrieb, teils mit Stationen in drei Richtungen. Chiatura liegt in einem Canyon. Das Stadtzentrum unten am Fluss, der Rest der Stadt auf den Hoehen drumherum. Ein ungeschliffener Diamant, wie Schweizer Touristen in ein Gaestebuch geschrieben haben. Die ganze Stadt ist so ungewoehnlich, voellig unentdeckt, fast voellig unrenoviert und ich stelle mir vor, wie es alles aussehen koennte, wie besonders doch diese Stadt ist….. Ich beobachte, wie ein paar Frauen mit dem Lift, der schon fast auseinanderfaellt, so scheint es, zum Einkaufen nach „unten“, und mit ein paar Plastiktueten wieder nach „oben“ fahren.
In Sachkhere gibt es eine Lichtinstallation eines beruehmten Schriftstellers, die nachts an einer Felswand ueber die ganze Stadt strahlt. Ja, es leuchtet in mir auf, das waer was, die Kunstszene (der Welt) in diese Gegend einladen und Kunstwerke installieren, in Natur- und Stadtraum……

Ich komme ueber einen kleinen, vielleicht 1.200 hohen Pass. Schon seit Wochen Brombeerparadiesisch hier….. 🙂
Nach diesem Pass, das bemerke ich spaeter, fliessen alle Fluesse nicht mehr Richtung Schwarzes Meer, sondern Richtgung Kaspisches Meer. Schon seit ca. 1 Woche hat sich das Klima veraendert, von suptropisch nach kontinental.
Kurz nach dem Pass, verspannt sich ein Wirbel im Brustbereich, in der Folge, in den naechsten Tagen verspannt sich mein Herz und drumherum grossflaechig.
In Gori, der Geburtsstadt von Stalin, mache ich ein paar Tage in Hostel Kalifornia, bei der netten eigenwilligen Marina stop. Entspannung setzt aber nicht wirklich ein, ich gehe weiter. Und Ueberraschung. Erst jetzt merke ich in aller Gaenze, wie dramatisch sich die Landschaft, das Klima veraendert hat. Es gibt kahle Berge, trockene Wiesen, fast steppenaehnlich, der Fluss Mtqvari fliesst immer nach Richtung Kaspisches Meer, aber gefuehlt und auch Bergpanoramatechnisch kann ich es nicht so ganz glauben, muss immer wieder hinschauen, er fliesst nicht Richtung Westen, nein gen Osten. Es gibt ein Hoehlenstaedtchen aus uralter Zeit, jetzt Touristen“magnet“ (so viele Touristen gibt es hier einfach noch nicht, die Georgier warten noch…). Mir gefallen die nackten Berge meist sehr gut, kann ich doch die Strukturen besser sehen, ich geniesse.
Den Weg hab ich zufaelligerweise nicht an der Strasse entlang gewaehlt, sondern fast querfeldein, zwischen Fluss und Bahnlinie. Geht ein Feldweg nicht mehr weiter, wechsel ich auf die Bahnschienen, das ist hier eh nichts ungewoehnliches. Ich gehe den ganzen Tag fast ununterbrochen, merke es aber erst am Abend, als ich in Kaspi ankomme und gute 30 km zurueckgelegt habe.

Hier treffe ich, nachdem ich mich auf einer Bank (ca. 19 Uhr) zur Rast niedergesetzt habe, schon nach weningen Minuten Rusa, die mich einfach anspricht. Sie ist knapp 40 Jahre alt, versteht kein englisch, hat mal in der Schule deutsch gelernt, aber die Verstaendigung ist mehr auf Schweigen und Gestik beschraenkt. Sofort laedt sie mich ein, nachdem sie meinen georgischen Zettel ueber das Projekt gelesen hat und meine Notwendigkeit, ein Quartier fuer die Nacht zu finden und  etwas Essen, mitzukommen. Es geht erst mal in eine georgisch orthodoxe Kirche, wo wir, sie sich ihren Segen abholt. Dann…. geht es per Anhalter weiter, gut denke ich mir, und frage sie, wie weit, sie meint 7 km. Nach den 7 km laufen wir aber noch mal 3 oder 4 km, mir wird es langsam zu viel, dann noch mal per Anhalter, nochmal 3 km, dann kommen wir in einem kleinen Ort an der suedossetischen Grenze (Russland hat sich hier 2008 ein Stueck Land der Georgier gekrallt). Rusa hat im letzten Auto eine kleine Tasche auf einer ihren beiden Gepaeckstuecke verloren. Da war wohl Geld, Telefon…. drin. Sie ist in Panik. So laufen wir erst mal durch den ganzen Ort – anstatt vielleicht zur Polizei zu gehen, den Verlust mitzuteilen, vielleicht ruft ja der Finder an – aber das geht irgendwie nicht und ich denke mir, ok, das muss sie selbst wissen. Es ist inzwischen sicher 21 Uhr und dunkel. Schliesslich gehen wir zu dem Haus, kurz vorher soll ich ganz still sein, keiner, die Nachbarn, soll bemerken, dass wir da sind. Sie greift nach dem Schluessel hinter einem Fenster, oeffnet ein Schloss. Es gibt kein Licht im Haus, sie vergewissert sich, dass das Bett fertig gemacht ist, so dass ich dort ruhen kann. In einer ihrer Taschen hat sich eingemachte Tomaten-Paprika-Peperoni und lecker Brot. Wir raeumen einen Tisch um, alles ganz leise, weil aus irgendwelchen Gruenden niemand bemerken soll, dass sie da ist. Ich schlafe schon fast zweimal, als sie mit meiner Taschenlampe, mir entgegenleuchtet, irgendetwas wissen will, was ich ihr doch nicht sagen kann, sie nicht verstehe.
Am naesten Morgen um 5:30 Uhr ebenso, ich soll aufstehen, es ist noch dunkel. Aeeehhh? Vor einem Bild eines Toten, wahrscheinlich ihr Vater, wird noch schnell ein Ritual vollzogen, eine Flasche Bakardi hingestellt, Suessigkeiten, dann das Haus wieder leise verschlossen, wir schleichen uns vom Grundstueck, aus dem Dorf….?!?!?
Sie will die Strasse nach ihrer verlorenen Tasche absuchen….. ok…… Rusa hat so eine Art Hausfrauenschlappen mit 4cm Absatz und Riemchen an, schnell hat sie sich barfuss in diesen gehend, die ersten Stellen aufgescheuert.
Auch da wo uns das erste Auto am Vorabend abgesetzt hat, will sie noch nicht wieder trampen, wir gehen weiter. Sie fragt nochmal nach dem was ich mache, ich gebe ihr einen russischen Zettel, einen georgischen und sie schreibt alles ab – auch die tuerkische Rueckseite, obwohl sie das gar nicht lesen kann, wie ich spaeter feststelle. Dann haelt ein Auto.
Wieder in die Kirche, bekreuzigen, orthodoxe Sonntags-morgens-Rituale sind laaaang. Sie liebt es. Ich soll bleiben, lasse mich ein paar mal ueberreden, noch ein bisschen….. aber dann will ich wirklich fruehstuecken.
Ich will Rusa zum Fruehstueck einladen, sie will nicht annehmen, ich will ihr etwas Geld fuer die Bahn zurueck nach Tiflis geben, auch dass will sie nicht annehmen. Aber mich immer wieder ueberreden, noch ein bisschen zu bleiben…. Ich sage irgendwann – kargat – auf Wiedersehen und lasse sie zurueck.

Die „oede“ Strecke ist fantastisch, die Farben, der Fluss, die Ruhe, ab und zu ein Zug…., meine Beine sind schwer, mein Koerper ein bisschen erschoepft vom Vortag, umgewoehnlich zwei ziemlich empfindliche Stellen unter den Fuessen, naja, die Sandalen sind auch nicht mehr so, Sohle loest sich auf (ein supernetter Schuster hat sie mir allerbest in Gori repariert) und der Schotter zwischen den Schwellen……

An einer Art Muellkippe, gleichzeitig Weg durch den Ort, komme ich in Ksani mit Kemal ins Gespraech. Er lebt als Tuerke mit seiner ganzen Familie hier. Sofort bin ich eingeladen. Die Kinder lernen georgisch, russisch und tuerkisch in der Schule. Nein, englisch nicht. Es entspannt mich, im kulturellen Gefuege einer tuerkischen Familien zu Gast zu sein. Seine Frau ist arbeiten in Istanbul. Die erwachsene Tochter schmeisst hier den Haushalt und bewirtet uns. Die Rollenverteilung, das Achten des jeweils aelteren hat etwas friedliches, geordnetes, entspannendes. Und fuer den Gast ist es sowieso bequem. Es gibt was zu essen und tuerkischen Kaffee und Obst und Nuesse, ich kann mich danach etwas ablegen, danach gibt es noch was zu essen (bisschen viel) noch nen Tee, Nachtruhe. Wir unterhalten uns in tuerkisch, georgisch, englisch, mit Haenden und Fuessen. Das Haus hat auch was geordnetes, ich fuehle mich wohl. Morgens dann Kavalte – Fruehstueck, dann nochmal nen Kaffee und dann darf ich gehen. Ohhhh war das eine Erholung, Kemal, bekennender Atheist, wie ungewoehlich. Natuerlich werde ich noch auf den Weg gebracht, mir der Weg gewiesen, das machen die Maenner, die Frauen putzen derweilen das Haus.

Abends komme ich in Mtskhete an, den ehemaligen Sitz der georgischen Koenige und Koeniginnen, die hier alle unter beschrifteten Steinen in der Kirche begraben sind. Auch gibt es hier das orginal Gewand von Jesus – allerdings nicht zu besichtigen. Ich naechtige im Keller eines Hotels, die Mutter des Hotels will mich gerne aufnehmen, der Mann aber nicht, wendet sich ab. Zu Essen gibts nix, ich versorge mich mit ein paar Kleinigkeiten aus den Kiosks. Die Altstadt ist recht frisch renoviert, so gibt es auch vor der gewichtigen Kirche einen Platz auf dem jugendliche Kunstradfahrer, ein paar Inliner, trainieren. Freue mich am Geschehen und das hier so eine Szene entstanden ist. Am naechsten Morgen kriege ich niemanden zu Gesicht, auch kein Fruehstueck, verabschiede mich mit einem kleinen Zettel in georgisch: didi madloba fuer Dankeschoen und lasse auch noch 2 Friedenvoegel in Origami da.

Mein Fluss vereinigt sich hier mit einem anderen und fliesst von nun an suedwaerts Richtung Tbilisi (Tiflis). Mein Herz ist immer noch verkrampft, vielleicht wegen der herannahenden Visaangelegenheiten die mir Angst machen und einem damit verbundenen 1. Weltkriegstrauma, dass ich hier nicht ganz ausfuehren kann – zuviel und noch nicht ganz klar -. Ich entschliesse mich, Hans und Wiebke eine sms zu schreiben, sie einzuweihen in Herzkrampf und dass ich in ein paar km die 9.000 km Linie ueberschreite. In einem sms hin und her mit Hans stelle ich fest, dies wird zwischen 11:11 georgischer Zeit und 11:11 deutscher Zeit passieren an einem Tag 2.9. mit der Quersumme 11!! 11 ist fuer mich eine durchlichtete Botschaft/Zahl, die in meiner Erfahrung immer wieder verbunden mit Licht, Lichtarbeit und das alles „In Ordung“ ist, egal was geschieht, im goettlichen Plan,  in Verbindung steht.

Auch sms-se ich mit Lela und Tami, zwei Frauen, die ich in den Bergen traf, in Tbilisi wohnen, und vielleicht ein Quartier fuer mich haben. Tami antwortet, ist nicht da. Dafuer meldet sich Rusa unerwartet, will mich treffen. So habe ich Motivation, Kraft, einen Termin um 18 Uhr, wobei ich nicht so recht weiss, was Rusa so vorhat. Aber einen Termin am Abend zu haben fokussiert mich meisst. Es sind 25 km, ich bin frueh gestartet, das ist vielleicht bis 18 Uhr zu schaffen.
Autobahn entlang, dann 6 spurige Strasse auf der westlichen Seite des Flusses, geschmueckt von grossen Platanen, die ich, wie beim Einlauf nach Istanbul, fast alle mit meiner rechten Handinnenflaeche beruehre. Da wird mir wohl im Herzen – Begegnung mit den Baeumen.
Kurz nach 17 Uhr treffe ich fast am Treffpunkt ein, da kommt Rusa schon aus einer anderen Ecke auf mich zugelaufen, ist total begeistert und gibt mir zu verstehen, wie sehr sie mich vermisst hat. Ich habe auch an sie gedacht, besonders wegen all der Raetsel die offen geblieben sind.
Sie hat sofort alles Moegliche geplant, denkt ich bin in einer Vegetarier-Mission unterwegs, und in einer Meditations-Mission. Ich bin fuer den Frieden unterwegs und Vegetarien sein ist persoenlich, meditieren Mittel zum Zweck.
Sie will mich mit Vegetarien Gruppen verbinden…… Pause steht nicht auf dem Plan, was ich erst mal einfordere. Wir lassen uns fuer ein paar Minuten auf einer Bank nahe einer Kreuzung nieder. Danach macht sie mich mit allen moeglichen Leuten bekannt, die ihre Freunde sind – die sie teils aber erst seit heute oder ein paar Tagen kennt – die englisch sprechen, aber nicht hin und her uebersetzen, es entsteht ein geistiges wirres Durcheinander. Pressearbeit will sie machen fuer Gazetta und TV, spricht dazu hier und da jemand mitten auf der Strasse an, ua. einen Theaterspieler, der gar nicht so recht weiss was sie will. Dann will sie mich einem Palarmentariar vorstellen, alles sei vorbereitet, dazu muessen wir aber noch laufen…… Ich will das jetzt alles nicht. Ich fordere einen Tee ein, und ein Stuecken Kuchen, will sie einladen, sie lehnt aber ab und sitzt dabei.
Sie mag mich wirklich sehr gerne, ueberlegt mitzulaufen, bis nach Armenien, Iran…. Visa, brauch sie da ein Visa?, faellt ihr ein…. Wenn man zu Fuss geht, brauch man wohl keines, ist ihre Antwort zu ihr selbst…..????
Es wird langsam dunkel, ich erkundige mich wie weit es bis zu ihrem Haus, Wohnung ist, und sie deutet mit den Fingern auf 4 km. Metro, noe, die ist nicht wirklich auf dem Weg. Durch die herausgeputzten Strassen Tiflis, superschoen. Wir kommen an einer Kirche vorbei, wieder dort hinein, wie schon vor ein paar Tagen, ich soll mich auch bekreuzigen, das ist gut…….. Sie kann sich dort wieder nicht so recht trennen. Danach gehen wir in die Richtung weiter, aus der wir gekommen sind, dann Zick Zack links rechts. Die Gegend wird immer dunkler und aermer. Das ist kein Problem fuer mich, aber schliesslich werde ich etwas ungeduldig, sie beginnt hier und da sich umzuschauen, mich dann mit ihrer Tasche stehenzulassen, sie will einen Freund fragen.
In den Minuten, in denen ich so auf sie warte, begreife ich, dass sie vermutlich kein Zuhause hat. Ich verstehe auch, dass ich nicht obdachlos bin. Ich bin unterwegs als Pilger, als Reisender….. Als sie zurueck ist, frage ich noch mal, es ist inzwischen nach 21 Uhr, wo und wieweit, keine klare Antwort. Ich mache ihr begreiflich, dass ich nicht mitkommen moechte, dass ich gerne „Auf Wiedersehen“ – Kargat sagen moechte. Sie ist nicht einverstanden, ich soll wieder ihre Tasche nehmen, sie will jemand fragen, ich lehne ab….
Ich bin mir sicher, dass sie uns ein Quartier besorgt haette, auch schneller, als ich es hinterher tue, doch die Aussicht, in den naechten Tagen auf diese Weise unterwegs zu sein, moechte ich einfach nicht. Sie ist enttaeuscht, traurig, weisst darauf hin, dass wenn wir uns jetzt trennen, sie sich morgen nicht melden wird…… ok fuer mich.
Aber nun folgt sie mir, fast wie eine Klette. Ich frage mich, was ich tun soll. Ich moechte jetzt fuer mich ein Quartier finden und nicht weiter ihr Spiel, ihren Ideen verfolgen. Schliesslich spreche ich ein paar junge Leute an, sprecht ihr englisch, koennt ihr mir helfen, ich habe einen sehr speziellen Grund! Ich erlaeutere, dass sie bitte Rusa sagen sollen, dass ich jetzt alleine weitergehe. Sie lehnt ab. 10 Minuten…… schliesslich stimmt sie zu, zu gehen.
Nach einer weiteren Stunde finde ich ein Quartier in einem Hostel in dem nur Iraker wohnen.

Es ist klasse Rusa zu kennen!! Tolle mitfuehlende, religioese Frau!! Herz!!

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