Reyhanlı, Syrien, TV, Abschied Teil II

Thomas schreibt:

Rania hat sofort ein Ersatzprogramm im Gepaeck. Wir besuchen eine Pension, zu diesen Zeiten genutzt als Krankenhaus für Schwerverletzte.

Wir sehen einen einen jungen superdünnen Mann, der seit gestern kaum Atmen kann. Deswegen auch Sprechprobleme hat. Er ist irgendwo ab Hals/Brustwirbel verletzt. Neben ihm ein anderer Gelaehmter mit seinem Bruder. Beide bei Kaempfen verletzt.
In einem anderen Zimmer treffen wir eine schwarz verhüllte Mutter mit ihrem 4 oder 5 jaehrigen Sohn. Sie hat insgesamt 10 Kinder, einer ist getötet worden, die anderen 8 sind in Syrien, sie muss so bald als möglich zurück. Allerdings ihr Kleiner hat einen kleinsten Monitionssplitter im Rücken, der seine Beine laehmt. Die Aerzte brauchen mikroskopisches Geraet, versuchen ihn irgenwohin nach Europa zu bringen oder vielleicht in der Türkei operieren zu lassen.

In einem anderen Zimmer treffen wir auf eine strahlende Frau. Es kommt mir gleich in den Sinn, dass sie perfekt waere für eine Fernsehshow, um für humanitaere Hilfe zu werben. Sie hat ihre Beine bei einem Bombenangriff etwa Mitte der Oberschenkel verloren. Die verheilten dunklen Wunden brennen noch immer und auch hat sie Phantomschmerzen in den nicht mehr vorhandenen Zehen. Eine Geraetschaft haelt Teile ihres offensichtlich gebrochenen restlichen linken Oberschenkels zusammen.

Auf der anderen Seite des Zimmers liegt eine Frau, gezeichnet vom Leiden, ihr kleines Kind hat sie auch dabei, liegt schlafend auf dem Bett der Laechelnden, und eine Angehoerige steht ebenfalls am Bett. Einen Arm hat sie verloren, ein halbes Bein. Weil das Fleisch an ihrem Oberschenkel weggesprengt war, gab es Heilungsprobleme, so haben Angehörige sie auf einer Trage zu Fuss hierher gebracht.
Sie erzaehlt eine unglaubliche Geschichte aus ihrem Dorf/Stadtteil, von dem Rania schon aus den Medien erfahren hatte und ist nun fast geschockt, dies aus dem Munde einer Augenzeugin zu vernehmen. Im April 2012 kam es zu diesem Vorfall, als Kinder aus ihrer nahen Umgebung auf einem Platz in der Reihe aufgestellt wurden und danach im wahrsten Sinne des Wortes geschlachtet wurden.  Ihnen wurde mit Messern der Hals durchgeschnitten und danach sind sie allessamt verblutet.
Die ‚Angehörige‘ faengt an zu weinen, sie will nicht zurück in das Elend, hat aber keine andere Wahl, dort gibt es ein Haus und halt all die anderen Verwandten….
Dunja bleibt noch eine Weile, Rania und ich verabschieden uns, treffen uns mit Saleh und trinken einen türkischen Kaffee.
Nachmittags gehts nochmal zurück an die Grenze, für zwei Interviewaufnahmen, eine von mir, eine Rania, fürs BBC.

Ich wundere mich, das der Krankenhausbesuch mich nicht emotional umgehauen hat. Für mich war es einfach ein Krankenhausbesuch….. ein besonderer…. und auch sehr informativer…. und ein wenig schockierender, sicher auch mitfühlender Besuch….. auf dem Weg besser zu begreifen, was da in Syrien vor sich geht.

Und ich frage mich: Aehnliche Geschichten bzw. von seiner Grausamkeit aehnliche Geschichten kenne ich aus der Aufarbeitung unserer deutschen Geschichte aus dem 2. Weltkrieg. Ich vermute, die alten deutschen Geschichten haben mich damals schockiert und ich will nicht sagen, abgehaertet, auch nicht abgestumpft. Nein. Damals hab ich gelitten, als ich all dies über die Judenvernichtung und vieles Anderes erfahren habe, hab viel daran gearbeitet, auch an der Bewaeltigung der deutschen Schuld, das hat mir viele Jahrzehnte schwer zu schaffen gemacht. Und jetzt war ich schon vorbereitet – auf solche Art von Grausamkeiten – auch durch die Medien.
Als ich dort im Krankenhaus war, hab ich mich gefragt, wird mich dies aus meinem Frieden bringen, oder kann ich den inneren Frieden aufrechterhalten, trotzdem zuhören und mitfühlen ohne mich mitreissen zu lassen??

Abends gehe ich zurück in unsere Syrien WG. Maher ist schon den 2. Abend mein Gespraechspartner. Spaeter kommen die anderen WGies und ich werde eingeladen einen kleinen Friedensvogelworkshop abzuhalten. Gemeinsam sitzen wir da mit 5 Maennern und origamisieren, falten Friedensvögel.

Ich stelle fest, seit 2 Tagen bin ich fast nur noch mit Syrern zusammen, wir sprechen englisch und (ich natürlich nicht) arabisch. Türkisch ist nicht mehr angesagt. Ich bin in Syrien angekommen.

Weiter mit Teil III

 

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