Mit was soll ich anfangen?

Thomas schreibt:

Mit was soll ich anfangen?
Mit Negativschlagzeilen zum  Thema Essen, Müll am Strand von Samandağ, des nicht wissen wohin in der Gegend von Samandağ,
oder mit einem Bericht über Kale und der bevorstehenden Hochzeit eines 23jaehrigen mit einer 17 jaehrigen, oder mit meiner neuen Bleibe für einige Tage am Strand von Meydan? Oder mit der Suche nach einem geeigneten Internetcafe für diese Berichte und einigen Glücksgefühlen ohne Grund auf dem Weg hierher? Oder meinen Teils-Aversionen gegen/für Grossfamilien, oder dass ich mich in dieser Gegend schon fast wie in einem anderen Land vorkomme.

Pause
Ich habe endlich einen Platz gefunden, wo ich nun ein paar Tage bleiben kann. Anders als erwartet, habe ich nun plötzlich ein Zelt zur Verfügung und campe im Standcafe von Meydan, einer der südlichsten Straende von der Türkei, wenn es überhaupt noch einen südlicheren gibt. Das Zelt wird immer dann aufgeschlagen, wenn die letzten Gaeste gegangen sind. Die Restaurantbetreiber haben dem gerne zugestimmt. Und das ist wohl auch die gaengige Praxis meiner Zeltsponsoren, heisst einem Arzt-Paearchen, die mich gestern grosszüglig zu allerlei Leckerein eingeladen hatten und schliesslich mit der Idee des Zeltes herausrückten. Also, sie haben ihr Zelt aus dem Auto geholt, eine Isomatte dazu und mir gesagt, ich solle das Ganze einfach den Cafebesitzern geben, wenn ich wieder gehe. Benutzen kann ich es so lange ich will, Natürlich ist der Cafe/Restaurantbetreiber Infan umringt von Mithilfe seiner Verwandten. So sind einige Jugendliche und junge Erwachsene mit von der Partie und natürlich auch ein paar Frauen, von denen ich gerade nicht weiss, wer zu wem usw. gehört (hat mit ihnen auch noch nicht soviel Kontakt gehabt) Die Jungs heissen Ogün, Ibrahim, Ali, Süleyman….., Ogün und Ali übernachten auch dort – auf zusammengestellten Tischen, einer Auflage darauf und einem Mückennetz, das im Dach befestigt wird. Ich habe dort gestern eine gute erste Nacht verlebt und bin heute morgen mit den ersten Sonnenstrahlen aufgewacht. Thema heute morgen war dann auch, dass ich gestern vor dem Einschlafen noch meditiert habe. Und ich war irgendwie auch gleich Familienmitglied und nach dem Morgenbad in den ganz ordentlichen Wellen zum Frühstück eingeladen. Zur Frühstückszeit waren schon etwa 5 Grossfamilien mit ihren Habseligkeiten und allem Picknick eingetroffen. In den Cafes hier am Strand sind alle Eigentümer darauf eingestellt, den Familien Tische und Stühle zur Verfügung zu stellen. Das was sie selbst nicht mitgebracht haben, wird gerne serviert – auf jeden Fall immer dabei der türkische Tee. Selbstverstaendlich kann man auch alles andere bestellen, muss man aber nicht. Beim Cafe gibt es auch eine Dusche, so dass sich alle nach dem Bad im Meer das doch ziemlich salzige Wasser abwaschen können.
Hier will ich also etwa 4-5 Tage bleiben. Fühle mich dort in der Familie, sehr freundlich, und dem Cafe sehr wohl. Beste Ausruhbedingungen.

Der Weg hierher. Ein Internetcafe war vom Strand nur 3 km entfernt, aber das war extrem laut, das ging überhaupt gar nicht. Die Kiddies spielen in den Interncafes gerne irgendwelche Spiele und schreien dann durch den ganzen Raum, um miteinander zu kommunizieren. Ausserdem hatte der Internethiwi die Musik so dermassen laut gestellt… Konzentration unmöglich. Das 2. Internetcafe nach weiteren 3 km funktionierte gerade nicht??!! und das 3. war dann noch mal 3 km weiter…. Fragte mich unterwegs, was ich denn da mache, und als Antwort, wenn ich zurück zu mir kam, konnte ich nur Glückgefühle wahrnehmen. Das ist ja wohl auch das Wichtigste. Auf jeden Fall laufe ich nicht den ganzen Weg wieder zurück, sodern nehme einen Dolmuş-Bus.

Kale. Ja. Kale sollte eigentlich mein Ausruhplatz werden. Aber bekanntlich kommt ja alles anders als man denkt. Bei Mehmet, dem 23jaehrige Braeutigam in Hochzeitsvorbereitungen, heute ist übrigens der Tag in seinem Leben, wo er seine 17jaehrige Irim aus dem Nachbardorf heiratet (um die Genehmigung dafür zu erhalten, musste er seinen Verwandten und den ihrigen erst mal ein fertig voll eingerichtetes Haus vorweisen können), hatte mir einen Schlafplatz auf seinem Dach, auf dem er auch bis zum Hochzeitstag schlief, zur Verfügung gestellt.  Dort konnte ich auch gut auf einer Matratze unterm Himmelszelt schlafen. Seine Fischerfamilie hatte mich zu den Mahlzeiten beköstigt und eigentlich auch bis zur Hochzeit eingeladen. Am ersten Abend hatte ich erst mal gesagt, dass ich nur einen Tag bleibe. Als ich mich dann am naechsten Tag umgeschaut hatte, es gab nur 2 einsame Cafes mit Strohbedeckung in der Naehe des Strandes und irgendwie fast keine Touristen, erklaerte ich dann abends meine Ambitionen, bis zur Hochzeit bleiben zu wollen. Gerne haette ich auf seiner Hochzeit getanzt und einige Jugendliche hatten bereits meine türkischen Tanzversuche belaechelt und sich sicher auch gefreut/auch wollte ich auf dem Gelaende aus Strandgut ein grosses Herz für die Hochzeitsgesellschaft legen/sollte aber ne Überraschung werden. Irgendwie muss es da zu Missverstaendnissen gekommen sein, obwohl ich mir das nicht so richtig erklaeren kann (vielleicht haben die gedacht, ich gehe erst mal und komme dann mit Bus oder so zur Feier wieder) auf jeden Fall bin ich dann – auch erst so gegen 10:15 am naechten Morgen in der schon Hitze weiter.  Auf der Strecke gibt es erst nach über 20 km das naechste Haus. Zur Halbzeit entdeckte ich einen kleinen Wasserfall mit zwei kleinen Naturbecken, oh wie angenehm die Abkühlung war.

Dreck überall
Schliesslich wurde der Weg immer verdreckter und der Strand in Cevlik ebenso verdreckt. Am naechsten Tag traute ich meinen Augen nicht, als die Verschmutzung noch weiter zunahm, am Strand, im Meer überall nur Dreck, Plastiktüten. Die Angler am Strand fischen keine Algen oder Fische, sondern Plastik und anderen Unrat. Schwer, das Schöne noch sehen zu können, z.B. wie die recht grossen Krebse aus ihren Strandbehausungen, -löchern, es meistern, ohne durch das wellige Wasser gewirbelt zu werden in das Meer hineinspazieren. Ich glaube nicht, das ich schon einmal ein so verdrecktes Meer (vielleicht vor 25 Jahren einmal in Portugal) und so verdreckte Strassen gesehen habe (zwischendurch denke ich: Gute Vorbereitung auf Indien). Die Einheimischen geben die Schuld den Syrern (glaub ich aber eher nicht) oder dem nahen Fluss. Tatsaechlich kommt eine Menge Dreck wohl über den Fluss, wo die Bürger oder gar die Stadtverwaltungen einfach alles in den Fluss kippen, aber ich glaube nicht, das der Fluss daran irgendwelche Schuld hat. Das kann man doch an der Mündung herausfiltern, oder den Gemeinden an den Flüssen Unterweisungen geben, oder am Strand aufsammeln – wer regiert bloss diese Stadt…..
Auf den Strassen liegt aber ebensoviel Müll, und der kommt weder von Syrien noch über den Fluss…..

Ja, seitdem komme ich mir vor, als sei ich in einem anderen Land angekommen, ja, alles fühlt sich wie nach einem Grenzübertritt an (anderes kollektives Feld) und tatsaechlich erfahre ich, dass die meisten Menschen hier arabische Wurzeln haben. Auch wird in dieser Gegend türkisch und arabisch gesprochen. Ausserdem sind sie Alawiten – nicht so strengen muslimischen Regeln unterworfen.

Zwei Aversionen/Abneigungen. die ich in den letzten Wochen wahrnehme:
1) Das Essen. Das türkische Essen ist in der Regel wunderwunderbar. Und deshalb bin ich um so erstaunter, was sich da in mir so getan hat,
Alles fing schon, glaube ich, weit vor dem Ramazan an, als ich noch fast im Norden der Türkei, eine Nacht 6 mal aufgestanden bin um mich in beide Richtungen zu erleichtern. Danach fühlte ich mich am naesten Tag völlig schwach und hab es gerade noch bis ins naechste Dorf geschafft (6km).
Dann bin ich in Sivas angekommen und das Spiel hat sich in aehnlicher Weise, allerdings ohne diese Schwaeche fortgesetzt, auch ohne Erbrechen. Was das genau war, konnte ich erst mal nicht sagen, oder nachfühlen, dann bin ich dahinter gekommen, dass es die Zwiebeln sind. Das ist zusaetzlich eine erhebliche Einschraenkung beim Essen in der Türkei, neben fleischlos, ohne Zucker…. weil in der Türkei supergerne mit Zwiebeln gewürzt wird.
Dann ging es durch die Berge – und in der Mitte der Türkei kann wegen der Höhe von oft 1.500 Metern und mehr kein Obst angebaut werden. In dieser Zeit merkte ich, das mir nach und nach der Appetit auf alles Mögliche verging. Seltenst gab es Obst, was ich erst nach einiger Zeit bemerkte und dann mehr und mehr vermisste. Und die sonst so lieb gewonnenen Zutaten zum Frühstück wurden mir über….. Eier konnte ich nach und nach nicht mehr sehen, auch wenn sie von eigenen Hühnern waren, aber auch deshalb, weil oft aus Massentierhaltung, ich entwickelte riesige Blaehungen und hatte nach einer Weile das Gefühl, dass sogar meine Aura danach roch…aehhhh. Der mir so lieb gewonnene Kaese, oft von Ziegen, Schafen oder eigenen Kühen schmeckte manchmal so streng und reagierte mit Tomaten und Gurken (oft gespritzt) zu einem merkwürdigen Gemisch in meinem Körper. Auch der türkische Tee setzte mir zu, machte meinen Magen dicht. Eines Morgens sah ich, wie unsere Gastgeberin über die leckeren schwarzen Oliven, eine merkwürdige Mischung aus Limonensalz kippte, was das Ganze so chemisch sauer machte.
Die Türken haben grosse Brotkultur. Verschiedenste Brote, meisst weisse, meisst sehr aufgequollene, aber auch diverse Fladenbrote. Mehr und mehr merkte ich, dass ich einfach kein Brot mehr essen wollte.
Die Butter war oft ranzig, auch nicht gerade ein Genuss…..
Alles in Allem war ich ziemlich überrascht über meine Empfingungen und Empfindlichkeiten…..
Und mehr und mehr stellte sich das Bedürfnis ein, nur noch Obst essen zu wollen. Als dies dann moeglich war, weil ich/wir weiter Richtung Süden kamen, war dies eine Wohltat und mir war es ganz recht, dann im Ramazan nur Obst zu essen.
Einmal machte ich eine Ausnahme abends im Ramazan und ass eine Suppe und Bulgur, gefüllte Paprika und Zuchini….. Unsere deutsch sprechenden Gastgeber hatten verstanden, dass ich keine Zwiebeln vertrage und das wir kein Fleisch essen. Am naechsten Morgen erkaerten sie mir stolz, das in der Suppe geriebene Zwiebeln waren (die machen dem Bauch nix). Es waren 10 Tage Ramazan vergangen und ich war gerade fertig mit dem Zwiebelgeruch von davor (hab naemlich festgestellt, das ich etwa 10 Tage nach dem Verzehr immer noch nach Zwiebeln rieche) und war deshalb richtig genervt, irgendwie verarscht worden zu sein. Allerdings hatten sie auch noch, entweder die Suppe oder das mit Reis/Gemüse Gemisch, was für die Füllung der Zuchini und Paprika mit Hühnerbrühe versehen. Mit Magdalena Hilfe konnte ich diesen unbestimmten Geruch bei mir analysieren und stellte fest, dass Hühnerbrühe auch etwa 10 Tage nach Verzehr stinkt (wahrscheinlich war da auch noch Glutamat drin) – naja. ich konnte es riechen.
Seitdem traue ich den Türken und ihren Kochkünsten nicht mehr. Überall vermute ich irgendwelche Zutaten, die ich einfach nicht essen will. Oft sagen sie ‚alles aus dem Garten – organic‘ und dann wird doch gemischt und gepulvert. Auch (bilde ich mir ein) weiss ich, dass im Brot allerlei Zutaten drin sind, die da einfach nicht hineingehören…..
Auf jeden Fall ist es nach dem Ramazan oft genug vorgekommen, dass ich an einem Tisch sass, wo ich eigentlich gar nichts davon essen wollte. Selbst der selbst gemachte Ayran (Yogurtgetraenk) war schon vergoren.
Wie damit umgehen………
Allergings muss ich sagen, in den letzten Tagen gab es ein paar tolle Mahlzeiten, die ich wirklich wunderbar geniessen konnte, dazu gehoeren auch die gegrillten Auberginen oder Tomaten…..
Am besten finde ich fast noch, wenn es zu jeder Mahlzeit Wassermelone gibt!!!!

2) Grossfamilien
Ich mag es gar nicht recht schreiben, aber es ist so! Die Strukturen in den Grossfamilien, das oft durcheinanderreden, die staendige Unruhe, das aufgeregte sein des maennlichen Teils der Familie und das damit verbundene Wichtig-Tun, Wichtiger-Sein geht mir auf den Senkel.
Wenn ich in den letzten 2 Wochen Grossfamilien sehe, die meist bei 8 Personen anfangen – nach oben offen – aber will ich mal fair sein, meisst auf 15 Personen beschraenkt bleibt, dann fühle ich in mir ein Unwohlsein. Muss dass sein, müssen soviele Kinder produziert sein. Müssen immer alle als Pulk auftreten?
Ich sehe eine solche Unruhe in diesen Grossfamilien, alles wuselt nur herum, das weibliche Geschlecht ist in die Rolle der BekocherInnen gedraenkt und produziert tagtaeglich Mengen an Essen….
Wie will sich der einzelne Mensch entwickeln in so einem Gewusel.
Und dann gibt es glücklicherweise Begegnungen mit Menschen und Paaren, wo ich sehe oder wir gemeinsam sehen, das es so einfach nicht funktioniert, dass die Gruppen oder einzelnen Menschen sich Zeit und Raum nehmen müssen für ihre eigene Entwicklung und ihre Bewusstseinsanhebung……
Dieses Thema ist sehr vielschichtig und natürlich gibt es auch viele Vorteile in Grossfamilien, die ich sehe und über die ich auch schon berichtet habe…..
Und es gibt wunderbare und wunderbarste Menschen eben in diesen Familien…..
Und es gibt auch so viele Brillianten in den Familien…..
Noch ein Zusatz zu den Familien:
Es ist subtil und nicht subtil: Die Strukturen in den Grossfamilen, die Rangfolgen, die damit verbundene Fürsorge, aber auch die Kontrolle, die muslimischen und kulturellen Regeln, Verbote oder Gebote…… Wenn ich die jungen Maenner und Frauen sehe, die keine andere Wahl haben, als Beispiel der Braeutigam Mehmet, in dem Dorf in dem er lebt, erst ein Haus zu Bauen, um dann mit einer Frau zusammen zu sein. Dann ist schon alles vorherbestimmt – fast – wie das Leben sein wird, vorgefertigt in Strukturen von haeuslichem Leben, eingebunden und beaeugt in die gesellschaftlichen Strukturen von Dorf, Verwandtschaft und Familie. Hat Sohn oder Tochter andere Vorstellungen, dann wirds schwer, vor allem, wenn man erst mal in dieser Struktur eingeheiratet hat. (Glücklicherweise gibt es in den Staedten inzwischen auch ganz offene Beziehungen und Vorstellungen vom Leben)
Manchmal frage ich mich, bin ich nicht in der Lage, die Menschen bedingungslos zu lieben?

Jetzt ist auch die Route ungefaehr klar, die im Rest der Türkei gegangen werden kann. Es geht also in ca. 4-5 Tagen weiter Richtung (könnt ihr euch auf der Karte angucken) Yayladağı, von da aus einmal zur syrischen Grenze (hab immer noch kein Visa) und wieder zurück und dann entlang der Grenze über Karbeyaz bis nach Reyhanli. In Reyhanli gibt es syrische Flüchtlingslager, die würde ich auch gerne besuchen und zumindest das Gehen an der Grenze den Syrern widmen. Von da aus nach Antakya/Hattay und ganz evtl. auch noch von Hattay über die Berge zurück nach Arsuz (die Strecke stelle ich mir sehr schön vor). Übrigens – nach meiner Pause wird es auch sofort wieder sehr bergig, in letzter Zeit fühle ich mich immer wohler in den Bergen als in dicht besiedelten Gebieten oder eben auch am Meer. Danach, soweit eben kein Visum kommt, geht es nach Mersin mit dem Bus oder aehnlich, dann mit der Faehre nach Tripoli im Libanon.

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