Aktuell Samsun / Mitpilgern / Erfahrungen der letzten Woche / Doppelweg

Thomas schreibt:

In Samsun angekommen
Wir, Magdalena, Paulin mit 1-Tages-Mitpilger Adnam und ich sind in Samsun angekommen. Am 7.5. gegen Abend. Bei der Quartiersuche versammelten sich Murat (unser anfaenglicher Helfer), die Polizei mit 2 Autos, unser Gastbeber mit einem Auto, und ein paar andere Leute vor dem Restaurant, in dem ich von Murat zu Suppe und Reis vorher eingeladen wurde. Mit dieser ganzen Mannschaft ging es dann zur Auslaenderbehörde, wo unsere Daten erfasst wurden „zu unserer Sicherheit“. Die Mitarbeiter mussten angerufen werden, da die Behörde schon geschlossen hatte und so dauerte das ganze Prozedere bis etwa 21 Uhr. Uns allen kam es aberwitzig vor und weiterhin werden wir an unserer Unterkunft – ein Gaestehaus der Stadt Samsun an einem Berg gelegen mit allerherrlichsten Blick auf die 577.000 Einwohnerstadt – bewacht.
Unser Gaestequartier hat ein königlich angegliedertes Restaurant mit Terasse wo wir kullinarisch bestens versorgt sind.
Es ist schon wundersam, was uns tagtaeglich passiert. 🙂

Mitpilgern / Doppelroute
Zur Zeit sind wir zu dritt unterwegs. Magdalena, Paulin und ich. In den letzten Wochen hat sich herausgestellt, das es dem Paar Paulin uns Magdalena ganz gut tut, alleine unterwegs zu sein. So haben wir uns immer freitags getrennt und dann nach ein paar Tagen wieder getroffen. Kurz vor dieser Zeit und waehrenddessen hat sich in mir ein unerwarteter Prozess in Gang gesetzt.
Ich fühle, mir sind all die Bedürfnissanmeldungen einiger Mitpilger und die staendige Rücksichtnahme nach einem Jahr und im Moment zuviel geworden. Ich habe das Gefühl, dass das gestartete FriedensPilgerprojekt, oder zumindest wie ich es mir vorstelle, fühle, wahrnehme, umsetzen möchte, in Gefahr geraten könnte. Auch im letzten Jahr war dies schon einmal der Fall gewesen.
In der aktuellen Situation hab ich das Bedürfnis, etwas mehr zu laufen und auch eine andere Route zu gehen.
Diese Route ist auch etwas weiter, als die Route, die Magdalena und Paulin einschlagen werden. Ich werde von Samsun noch etwa 70 km weiter östlich bis nach Terme laufen, von da aus direkt nach Süden gehen über Sivas nach Kahramanmaraş und İskenderun nach Antakya/Hatay zum südlichsten Zipfel der Türkei bis an die syrische Grenze.
Magdalena und Paulin planen direkt von Samsun Richtung Kayseri und Kapadokien (Nevshehir) zu gehen. Von da geht es weiter nach Mersin. Ich werde dann von der syrischen Grenze (Syrien ist im Moment wegen des Bürgerkrieges abgeschottet) mit dem Bus nach Mersin reisen und dort ggf. die beiden wiedertreffen.
Dann werden wir evtl. gemeinsam die Schiffsreise nach Libanon antreten (vermutlich über Zypern). Ich möchte auf jeden Fall angefangen von der syrischen Grenze im Libanon die Fussreise fortsetzen und so Israel erreichen.
Allerspaetestens in Israel/Palaestina wollen wir dann wieder gemeinsam unterwegs sein.

Anfaenglich war mir gar nicht wohl bei dem/den Gedanken, das unsere Gemeinschaft sich trennt, für eine laengere Weile trennt. Doch vielleicht ist dies gerade genau richtig. Vielleicht ist es sogar nötig, weil uns das Leben in dieser Zeit auf verschiedene Weise schulen wird/möchte. Vielleicht und ich kann sagen, ich gehe davon aus, gehen wir alle gestaerkt aus dieser Zeit hervor und können unsere Erfahrungen dann nach der Wieder-Gruppenzusammenführung positiv einbringen.
Das tolle ist, wir gehen im Frieden und in Freude „getrennte“ unterschiedliche Wege. Tatsaechlich sind wir ja nicht getrennt, wir sind miteinander verbunden – und sicher erreichen wir so noch viel mehr Menschen (und Jandarma/Polizei/schmunzel). Paulin und Magdalena fühlen sich dem Friedenspilgerprojekt und steppps weiter verbunden.

Und auch wenn ich mich durch etliche und viele Bedürftigkeiten der einzelnen Mitpilger oftmals zurückgehalten und gebremst fühlte, haben mich die gemeinsamen Zeiten auch gestaerkt, vieles einfacher gemacht. So ist mein Alleine-Unterwegs-Sein für die naechsten Monate auch eine Herausforderung, alleine alles organisieren müssen, auf mich alleine gestellt sein, mit Quartiersuche und „Polizeibetreuung“ etc.

Nach ausführlichem Austausch und nachdem klar war, dass ich nun etwa 3 Monate (+….) alleine unterwegs sein werde, war die letzte Woche vor Samsun so etwas wie ein Probelauf. Magdalena und Paulin waren für eine Pause an einem Stausee in den Bergen geblieben. In mir hatte sich noch ein weiterer Wunsch gehegt – ich wollte/will für laengere Zeit in die Stille und ins Schweigen gehen. So betrachtete ich diese Tage mit den Augen eines zukünftig Schweigenden – wie alle diese Situationen – würde ich es alleine schweigend unterwegs meistern können?
So traf ich Ali, eigentlich einen Berliner, lebt seit seinem 11. Lebensjahr in Berlin und ist jetzt 47. Er hat in der Vergangenheit alle möglichen Drogen geschluckt und jede Menge Alkohol getrunken. Jetzt ist er clean, hat eine Therapie hinter sich und seine 3 Monate in den Bergen in seinem Heimatdorf mit der Stille und Reinheit der Natur sollten ihm ebenfalls helfen, sein Leben in den Griff zu bekommen.
Am naechten Tag wurde ich von Mustafa und seiner Familie eingeladen. Türken sind machmal „unheimlich“ gastfreundlich, wie in diesem Fall. In seinem Haus ist Geschlechtertrennung besonders wichtig. Ich landete mit ihm in einem extra Wohnzimmer waehrend seine Frau das Essen bereitete. Seine Cousine lebte ebenfalls in dem Haus, ist etwa 35 Jahre alt und hat einen Verehrer. Dieser ist auch ungefaehr 35 Jahre und wurde an diesem Abend erwartet. Ausgebildeter und inzwischen schon berenteter Lehrer, jetzt Imker. Er brachte einige Geschenke, wie Erdbeeren und Brot ….mit, die würdig empfangen wurden. Die recht beleibte Cousine war natürlich recht aufgeregt und der Zukünftige nahm in der Küche neben ihr Platz, natürlich mit einem kleinen Sicherheitsabstand, der von dem Hausherr und der Hausdame (sie hatte aufgeregt vorher am Fenster gewartet) wie eingefordert auch bewacht, beaeugt wurde. 🙂 Die beiden Brautleute wird es bald in seine Heimat am Mittelmeer nach Marmara ziehen. Und die Blicke meiner Gastgeber waren auch eindeutig, so wie die Brautleute es gar nicht erwarten können miteinander zu sein, schauten mich Hausherr und Frau mich mehrfach wissend an, das sie es denn nun bald miteinander tun würden, freudig, fast erregt, kaum abwarten könnend und doch der Pflicht und den Regeln dieser streng glaeubigen Familie folgen müssen.  Alles kam Filmszenen gleich, mit überzeichnenden Charakteren, die ich schon des öfteren im türkischen Fernsehen verfolgt hatte. Im tuerkischen gibt es ein Wort für Gast „misafir“ und ein weiteres für gastfreundlich „misafirperver“. Pervers und überzeichnet für die Gastfreundlichkeit war dann nun diese Szene: Nach dem Essen ging ich wieder mit Mustafa in das Wohnzimmer. Er hatte Walnüsse dabei und die mussten nun noch geknackt werden. Obwohl ich schon recht satt war, wollte ich gerne noch welche essen. Abwechseln reichten wir uns den Nussknacker bis er schiesslich meinte, er müsse nun die Nüsse für mich knacken. Das fand ich nun der Gastfreundschaft etwas zu viel und gab ihm zu verstehen, dass ich das alleine könne. Dies wiederum wollte er nicht akzeptieren und rief, ja schrie immer ganz laut „misafir“ und versuchte mir nun diese Walnüsse in den Mund zu stopfen, was für mich dann die Erklaerung des Wortes „misafirperver(s)“ bezeichnete – fragte ich mich nur, wo dann die versteckte Kamera war.
İm naechsten Ort kam es dann zu einer Taschendurchsuchung meiner Gastgeber und deren Nachbarn um sicher zu gehen, dass ich nun kein Terrorist sei. Grundsaetzlich hab ich damit kein Problem – doch es war mehr so ein über meine Tasche herfallen……..
Und an einem Tag tauchte die Polizei in einer so agressiven Weise auf, das ich überrascht war, Angst in mir zu fühlen und mich fragte, ob vielleicht doch Terroristen in der Naehe sind.
In der ganzen Woche in den Bergen von Yakakent bis Samsun war die Natur unbeschreiblich schön, die bewaldeten frühlingsgrünen und -frischen Berge, Stauseen und ein herrlicher Fluss, der mich etwa 3 Tage begleitete und super Badelöcher hatte (nackt gebadet). Der Himmel und die Luft waren ausserordentlich klar und blau. Schöner kann Natur nicht sein.

Und hier noch etwas zum Mitpilgern. WICHTIG!!!!!!!!!!!!!!!
Ich bin mir im Moment nicht sicher, ob ich in den naechsten Monaten Mitpilger empfangen kann. Ich bitte evtl. Interessenten deshalb vorher um Anfrage per SMS oder Email (Internetzugang nicht immer gewaehrleistet). Falls nicht mit mir kannst Du evtl auch mit Magdalena und Paulin laufen. Das ist dann aber vorher bitte abzuklaeren.
Was ich aber klar fühle, spaetestens in Israel bin ich wieder bereit, Mitpilger in Empfang zu nehmen.

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