Stephan

Stephan kenne ich aus Waldbröl. Letztes Jahr im Juni, als Thich Nhat Hanh dort war, war er mir aufgefallen. Meisst hab ich ihn beim Essen gesehen und mich über seine wunderschöne, unglaubliche Präsenz gefreut. Schliesslich hab ich angesprochen. Stephan war da so ca. 23-25 Jahre alt. Er war ein Jahr in Japan bei einem Zen-Meister und hatte gelernt, Achtsamkeit zu kultivieren. Er erzählte auch, dass er gelernt habe, seine Sexualität zu kontrollieren und jetzt nicht mehr das Bedürfnis nach Sex habe. Eigentlich könne er Mönch werden, was er auch gerne würde – aber er habe sich entschieden, Pädagogik in Konstanz zu studieren. Er möchte den Kindern was von den Weisheiten (Achtsamkeitsübungen, Atemübungen, das Wissen vom Sein im Hier und Jetzt….), die er in Japan erlernt hat, weitergeben.  
Ich erzählte ihm von meiner Friedenspilgerreise und wir waren uns schnell einig, dass wir uns in Konstanz im April dieses Jahres wiedersehen werden.

Also schrieb ich Mitte März ein paar Zeilen per Email, meldete mich an. Ich hatte nur seinen Vornamen, die Email Adresse und seine tatsächliche Postadresse. Es kam keine Antwort. Meine Überlegung war, vielleicht die Route sogar zu ändern, ich könnte auch von Winterthur direkt nach Bregenz gehen, es gefiel mir ja auch gut in der Schweiz. Und doch – ich wollte ihn gerne wiedersehen, dachte, vielleicht meditiert er jetzt noch mehr, vielleicht liest er gar keine Emails mehr, ich geh einfach vorbei. Die Route bleibt so. Fühlt sich gut an. (Kurz kam auch in mein Hirn, vielleicht will er mich ja auch gar nicht sehen.)

Ja, und dann stand ich da vor der Tür, und Marianne machte mir auf. Ich erkundigte mich nach Stephan und sie eröffnete mir, dass er gestorben sei.
Er war Anfang März, noch vor dem Tsunami, nach Japan gefahren, wollte dort nun Mönch werden. Noch am ersten Abend, nach seiner Ankunft in Tokio, war er von einem Haus gestürzt. Sie sagt, dass aus dem Polizeibericht hervorging, dass das Haus gar nicht so hoch war, dass man eigentlich bei einem Sturz von dem Haus unter normalen Umständen nicht stirbt.
Was war also nun passiert? Ich weiss es natürlich auch nicht, und ich bin kein naher Angehöriger, noch nicht mal ein guter Freund. Wir haben uns nur ein paar mal unterhalten – hatte mich schon gefreut, jetzt mit ihm zu meditieren – mit ihm vielleicht einen Pausentag zu verleben, um dann weiter zu gehen.
So ein toller Mensch. Mit so einer tollen Ausstrahlung. So jung. Einfach gestorben. Hat er Selbstmord begangen? War er verzweifelt? War es ein Kurzschluss? War es ein Unfall? Er war doch noch nicht mal dort in Japan angekommen, wo er hinwollte.
Ja, und man kann ihn nirgendwo nunmehr treffen. Ich vermisse es, ihn nicht treffen zu können, seine Freude und Ausstrahlung wahrnehmen zu können. Er besteht keine Möglichkeit, das er da irgendwo auf dem Fahrrad dahergefahren kommen könnte. Und es so schade, das so viele Menschen ihn nicht mehr erleben können.
Und wo ist er jetzt? Kann ich vielleicht anders Kontakt mit ihm aufnehmen. Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass es ihm jetzt nicht gut geht?!?!!
Auf jeden Fall trage ich die Erinnerung an ihn in mir, in meinem Herzen, in meinem Bauch, in meinem Gefühl. Und da lebt er ein bisschen weiter hier auf Erden. Und da nehme ich ihn etwas mit, beim Gehen, beim Meditieren.

Und ich betrachte aus der Nicht-körperlichen Ebene unser Sein auf der Erde. Dieses Spiel des Lebens. Sollten wir es nicht einfach nur geniessen? Ist es nicht das Beste, einfach nur jeden Moment des Lebens mit jedem Atemzug zu geniessen, alles wahrzunehmen, jeden Moment auszukosten, was auch immer er bringt?!!!!!!!!!! Jaaaa!!!!!

Danke Stephan, dass ich Dich kennenlernen durfte. Schade, dass es Dich hier nicht mehr gibt. Schön, dass es Dich hier gab. Und schön, dass Du irgendwie doch noch da bist. Ich grüsse Dich aus tiefem, liebendem Herzen.
Den Angehörigen und Freunden sende ich mein Mitgefühl. Und ich möchte herausrufen:  Freut Euch an dem, was er Euch gegeben hat.

Und: Wir sollten uns alle immer an allen Begegnungen erfreuen, die wir tagtäglich erleben. Sie sind kostbar und sind alle einmalig.

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